Schon wieder neue Judoregeln - Eine Sportart kommt nicht zur Ruhe
Auch wenn es wieder viel Kritik dafür hageln wird, - Kim-Chi Wiesbaden hat der judo-Familie dennoch etwas zu sagen:
Noch vor wenigen Tagen wurde unser Verein, Kim-Chi Wiesbaden, für ein Gewaltpräventionsprojekt in Berlin vom Bundespräsidenten Herrn Frank Walter Steinmeier mit dem zweiten Platz beim Sterne des Sports in Gold, auf Bundesebene ausgezeichnet.
In diesem Projekt sollen Kinder stark gemacht werden. Stark, nicht in Form von mehr Kraft und mehr Power, sondern stark für die Herausforderungen des Alltags, der alltäglichen Gefahren, denen Kinder heute leider Tag für Tag ausgesetzt sind.
Mit unserem Projekt „Opfer- nein danke“ wollen wir die Kinder stark machen, sich diesen Gefahren zu stellen und sich damit aktiv auseinander zu setzen.
Judo, mit seinen selbst auferlegten/ernannten „Judo-Werten“ sollen den Kindern im Umgang mit ihren Mitmenschen solche Werte wie Respekt, Selbstbeherrschung, Ehrlichkeit und Selbstbewusstsein, vermittelt werden. Mut, im Umgang mit den Gefahrensituationen, mit denen sich Kinder Tag für Tag auseinandersetzen müssen.
Dabei spielte in unserem Projekt die Schulwegsicherung eine wichtige Rolle, den Kindern einen sicheren und gewaltfreien Schulweg zu schaffen/ermöglichen.
Genau für diesen Inhalt und Ansatz des Projektes, bekamen wir das Lob der Jury und im Anschluss an die Preisverleihung die Anerkennung auch anderer Preisträger an diesem Tag.
„Kinder stark machen“; - Ihnen Mut zusprechen und das Selbstbewusstsein zurückgeben, dass sie ein Problem bewältigen können, dass sie das schaffen, dass sie sich nicht verstecken sollen, dass sie sich dem Problem stellen und dafür eine Lösung schaffen sollen, anstatt sich davor zu verstecken oder davor wegzulaufen.
Warum trauen sich Eltern und Kinder nicht mehr zu, ihren täglichen Schulweg zu Fuß zu absolvieren? Weil es Ihnen niemand mehr zutraut und man unsere Kinder immer mehr vor allen möglichen Gefahren behüten und beschützen möchte. Natürlich sind die Gefahren in den letzten Jahren auch gestiegen, aber sollten wir nicht lernen, damit sich auseinander zu setzen, anstatt die Bühne deren zu überlassen, die dafür Verantwortlich sind?
Der Verein scheint mit seinem Projekt, anscheinend ein Thema angesprochen zu haben, dass nicht nur die Jury zum Nachdenken anregte, sondern genau dieses Problem liegt den verschiedensten Einrichtungen auf der Seele, dass sich etwas verändern muss, im Umgang mit den Kindern.
Was hat das alles mit der Sportart Judo zu tun?
Seit Jahren werden in unserer schönen Sportart Judo immer neue Regeländerungen eingeführt und hier insbesondere im Jugendbereich, die den Judosport seit Jahren massiv prägen.
Seit Jahren werden die Regeln in der Jugend immer mehr in einer Art und Weise entschärft, dass man sich so langsam fragen muss, ob Judo überhaupt noch eine „traditionelle“ Selbstverteidigung und Kampfsportart ist.
Vor was will man die Kinder schützen? Davor, dass sie sich selber eine Kampfsportart ausgewählt haben, die sie in ihrer Freizeit ausüben wollen?
Hat man nicht gewisse Vorstellungen und Erwartungen an eine Sportart, bevor man sich dafür entscheidet, eine Kampfsportart ausüben zu wollen? Will man nicht gerade deshalb eine Selbtsverteidigungssportart betreiben, damit die Kinder lernen, sich zu verteidigen, lernen dem natürlichen Drang auf ein Ringen und Raufen und den damit verbundenen „Kämpfen“ unter fairen Regeln zu kontrollieren/kanalisieren? Schreibt man den Eltern heutzutage ab, dass sie dies nicht mehr richtig einschätzen können und man deshalb die Regeln der Kinder in einer Kampfsportart wie Judo dermaßen beschneiden muss, dass es eigentlich zu keinem „natürlichen“ Raufen/ Kampfverhalten mehr kommen kann?
Durch diese Regeländerungen gingen dem Judosport in den letzten 10 Jahren sehr viele Mitglieder verloren. Aber nicht nur Mitglieder, auch und ganz besonders, sehr viele Talente. Viele Talente haben sich vom Judo abgewandt, weil sie durch die ständigen Regeländerungen massiv benachteiligt wurden. Kinder mit bestimmten Voraussetzungen haben wenige Chancen, die Regeln in der Jugend überhaupt noch erfolgreich anzuwenden. Aber auch Kinder, die nach den neuen Regeln ihrem natürlichen Drang nach „raufen“ nicht mehr ausüben durften weil sie schlicht und einfach zu „ruppig“ in ihrer Art waren. Wie viele Kinder und Talente gingen in den letzten Jahren verloren, weil sie sich unter eine „Kampfsportart“ Judo etwas völlig anderes vorgestellt haben. Kann es sich eine Sportart überhaupt heutzutage noch leisten, Mitglieder zu verlieren, weil sie durch die Regeln klar im Nachteil sind oder deutlicher gesagt; klar benachteiligt/ausgegrenzt werden?
Warum versucht man im Judo die Kinder vor etwas zu behüten/beschützen, anstatt sie mit diesen Inhalten dieser Kampfsportart frühzeitig zu konfrontieren und ihnen Lösungen vorzuschlagen, wie mit diesen Gefahrensituationen umgegangen werden kann, oder besser noch, man lehrt sie, diese Gefahrensituationen frühzeitig vorzubeugen, damit man sie gar nicht erst entstehen lässt und ihnen somit aus dem Weg gehen kann. Eigentlich ein grundlegendes Judo-Prinzip!!!!
Später dann, ab einer gewissen Altersklasse, ist dann nämlich alles wieder erlaubt, was man vorher den Kindern vorenthalten hat und wovor man sie jahrelang beschützen wollte. Vor was denn eigentlich? Vor den Inhalten einer Kampfsportart? Sollte man sie nicht frühzeitig darauf vorbereiten?
Um diesen „Gefahren“ im Kinderjudo auszuweichen, sollen wir Trainer den Kindern etwas beibringen, was eigentlich nicht die korrekte Technik darstellt. Um die Kinder zu „beschützen“ zeigt man ihnen erst einmal eine falsche/entschärfte Version der Technik, um sie ihnen dann später wieder richtig beizubringen.
So beim aktuellsten Beispiel, der Sankaku Bodentechnik, wo man durch das einklemmen des Gegners zwischen seinen Beinen, den Gegner versucht auf dem Boden festzuhalten. Die Technik als Solche wurde nicht verboten, aber das einklemmen der Beine ist nun nicht mehr erlaubt. Ist das einklemmen des Fußes in der Kniekehle nicht das entscheidende Kriterium/Prinzip des Sankaku? Jeder Judoka weiß aber, dass man diese Technik gar nicht anwenden und den Gegner gar nicht halten kann, wenn man die Beine nicht mehr einklemmen darf, - und somit hat man eine weitere Bodentechnik verboten, wie in der Vergangenheit weitere sehr erfolgreiche Techniken um die Kinder zu schützen. Was ist das nächste, was verboten wird? Das zu feste Halten eines Haltegriffes, um den Gegner am Aufstehen zu hindern (erst recht, wenn er sich am wehren ist)? So geschehen auf einem Wettkampf in Belgien, wo einem Kind der Haltegriff (Kesa-Gatame) zu „feste“ war und der Angreifer dafür bestraft wurde, - nur weil er verhindern wollte, dass sich sein Gegner aus dem Haltegriff befreien wollte. Ist das nicht das Ziel eines Haltegriffs?
Beispiele aus dem Stand gibt es ebenfalls genügend, wie dem O-Soto-Gari (Otoshi) oder den Tani-Otoshi, - das Kontern nach Hinten. Jeder weiß, dass ich meinen Gegner nur nach Hinten kontern kann, wenn sich der Partner falsch eingedreht hat, - also wenn ich die grundlegenden Prinzipien des Judo nicht richtig angewendet/ausgeführt habe. Wäre es nicht besser, den Kindern diese grundlegenden Prinzipien so zu vermitteln, indem sie auch die Konsequenzen ihres falschen Handelns erfahren würden, anstatt etwas „Falsches“ auch noch zu belohnen?
Immer wieder kommt das Argument, dass bestimmte Elemente des Judo-Kampfsportes „entschärft“ werden müssten, weil sie die Gesundheit der Kinder gefährden.
Werden wir Trainer aktuell so schlecht ausgebildet, dass man es uns nicht mehr zutraut, die Kinder bestens vorbereitet für seine Sportart in den Wettbewerb zu schicken?
Wird den Eltern die Kompetenz abgesprochen, nicht mehr einschätzen zu können, welche Konsequenzen es für ihr eigenes Kind hat, wenn man sich für eine „Kampfsportart“ entscheidet?
Das Gegenteil ist der Fall. Immer mehr Eltern kommen enttäuscht zu uns, und haben sich unter Judo etwas anderes vorgestellt, - erst recht, wenn sie dann ihre ersten Wettkämpfe mitmachen und feststellen, dass der natürliche Drang der Kinder, zu Ringen und Raufen, völlig in eine immer mehr zunehmende „Sterile Sportart“ gepresst wird. Sicherlich gibt es auch solche Eltern, die es gut finden, dass man Kampfsportarten „entschärft“. Aber ist das unser zukünftiger Anspruch an eine Kampf- und Selbstverteidigungssportart?
Gefahren aufzeigen, Gefahren vermeiden, Lösungen finden für gewisse Situationen, Probleme bewältigen anstatt vor ihnen wegzulaufen – für diese Inhalte und Wertevermittlung, hat Kim-Chi Wiesbaden die Jury auf allerhöchster Deutscher Ebene überzeugt.
Auch hier werden die Kinder beschützt, - aber auch stark gemacht. Stark gemacht für die Zukunft.
Dies könnte auch ein erfolgreicher Ansatz für die Sportart Judo sein.